Auf Blättern liegt Trost

 

Auf Blättern liegt Trost. Trübt sich eine Freundschaft, gar die Liebe, das Verhältnis zu sich selbst, hilft es, die Nähe der Bäume aufzusuchen. Das weiss man ja. Ich suche meinen ureigenen Blätterwald auf, in meinen verschiedenen Büchergestellen. Bevorzugt wird dasjenige mit den Dichtereien darin, kleine Portionen süssbitterer Zustimmungen und Stimmungen.

 

Sie werden nicht darauf kommen – in welchen Blättern ich ausserdem grossen Trost finde. Na? In den Blättern des Blätterteigs. Eines meiner liebsten kulinarischen Worte lautet: Blätterteiggebäck. Was für ein Duft steigt ihnen dabei in die Nase. Na? Butter, Brot, Geheimnis. An welches Gefühl erinnert sich ihre Zunge. Na? Zärtlichkeit. Sag ich.

 

Deshalb war es für mich ein dunkler Abend, als meine Freundin damals mit ihrem Partner zur Haustür herein kam und er meinte: Was für ein Blätterteiggericht hast du gebacken? Es gab Risotto. Mein Mann hatte ihn zubereitet. Und wenn etwas an der Bemerkung dran war? Konnte ich überhaupt etwas auf den Tisch bringen, das kein Blätterteig enthielt?

 

Dazu muss man meine Geschichte kennen. In der Grundschule durften wir Leute besuchen, die uns Schokoladentaler abkauften für einen guten Zweck. Kein gutes Zeichen, dass ich mich noch an die Schokolade, nicht aber den guten Zweck erinnere.

Nun gut. Ich klingelte bei Frau Brodbeck. Kaum hatte sie die Tür geöffnet, umhüllte mich eine Wärme, die von Butter, Brot und einem geheimnisvollen Duft erfüllt war. Magst du eines? Fragte Frau Brodbeck mit der Schürze aus grobem Leinen. Benommen konnte ich nur noch nicken. Sie reichte mir: Blätterteiggebäck. Ich ass es erst, als ich wieder an der frischen Luft war. Zwei Dinge waren passiert: Einerseits bemerkte ich, nie etwas Köstlicheres als Blätterteiggebäck gegessen zu haben. Andererseits war ich mir sicher, dass ich Schriftstellerin werden wollte. Wenn es solche Dinge gab wie Frauen, die Brodbeck hiessen und prompt buken, dann war es wichtig, dass man sie aufschrieb.

 

Blätterteig habe ich nie selbst hergestellt, denn alles, was in den Kochbüchern als kompliziert beschrieben wird, meide ich. Also schlage ich die Warnung nicht in den Wind und kaufe den Teig beim Grosshändler. Seit jeher. Einmal, als ich alleine in meinem Spinnwebnest wohnte, buk ich Feta-Blätterteigtaschen. Mein Freund war davon so begeistert, dass er das Rezept erweiterte, an sich riss und ihm sogar einen Namen gab: Wollishofener Blätterteigtasche, denn entstanden war sie, als er in Wollishofen, ebenfalls alleine, wohnte. Meine Feta-Blätterteigtasche hatte sich verändert und wurde nie mehr erwähnt. Der Freund meiner Freundin mischte etwas Kartoffeln in die eigentliche Wollishofener Blätterteigtasche und nannte das Ganze: „Toti Chatz.“ So. Ich musste mich distanzieren von den Blätterteigrezepten der alleinwohnenden Männer.

 

Durch Raffinesse. Es entstanden: Apfelwähe. Zwetschgenwähe. Aprikosenwähe. Birnenwähe. Schweinsohren. Blätterteigpizza mit Tomaten, Mozzarella, schwarzen Oliven und Olivenöl. Blätterteiggemüsekuchen mit Käse überbacken. Blätterteigtaschen mit Thontomatenfüllung. Äpfel im Blätterteigröckchen. Blätterteig mit Spinat und Feta. Würstchen im Blätterteig. Schokolade im Blätterteig, bestäubt mit Puderzucker. Cremeschnitten. Vol-au-vent.

Zu diesem Zeitpunkt übte sich mein Mann in Risotto. Wir wohnten mittlerweile zusammen.

 

Immer bewahre ich zwei Rollen Blätterteig im Kühlschrank auf. Spüre ich leichte Betrübnis bei einem Familienmitglied rolle ich den Teig aus, streue Zucker darüber, rolle ihn wieder zusammen, schneide ihn, bestreiche ihn mit Ei und lasse ihn 10 Minuten backen. Dann kühle ich das Blätterteiggebäck aus und trage es zusammen mit dem betrübten Familienmitglied vor mein Büchergestell und lese eine Dichterei vor.

 

Bitte vergessen sie das nicht. Sind Sie traurig, finden Sie vielleicht auf anderen Blättern Trost. Mag sein, es beruhigt sie, wenn auch der Baum seine Blätter verliert. Oder sie bemalen ein Blatt Papier. Beobachten Blattläuse. Schauen dem Lack zu, der vom Garagentor abblättert.

 

Die Sonne geht auf. Die Tür geht auf. Das Buch geht auf. Der Koffer geht auf. Das Fenster geht auf. Die Herzen gehen auf. Der Blätterteig tuts auch.

 

© Lea Gottheil 2012